Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.
2. Mose 23,2
Ein Spaziergang im Frühjahr mit meinen Jungs, die Bäume treiben frisches Grün und die Sonne scheint kraftvoll zwischen den Zweigen hindurch. Wir sind auf den Waldwegen am Schlossberg unterwegs und freuen uns, wenn eine Lichtung den Blick auf die Friedensburg oder Leutenberg freigibt. Ein wunderbarer Blick. Dazu noch die blühenden Buschwindröschen und das Zwitschern der Vögel. Was für ein schönes Fleckchen Erde!
Wir gehen wieder zurück, am schönen Pavillon der Pabst-Höhe vorbei, den schmalen Weg durch die Wiesen. Als wir uns dem Friedhof nähern, schaue ich mit Pfarrerinnenblick, denke an die Menschen, die hier lebten und nun begraben sind.
„Können wir auch mal diese komischen Gräber da anschauen, Mama? Wer ist da gestorben?“ Wir gehen auf den kleinen Ehrenfriedhof, der am Rand liegt. Friedlich ist es hier am Waldrand, und doch scheint dieser Ort nicht so richtig hier her zu gehören. Mühsam lese ich ein paar Namen vor, die auf sich gleichenden Grabsteinen stehen.
„Die waren nicht hier aus Leutenberg, ge?“ Ich denke an die Geschichten aus dem Zwangsarbeiterlager „Laura“, an die Gedenksteine zum Todesmarsch, die an den Straßen stehen, an die Geschichten, die mir manchmal von den Senioren erzählt werden. Ob sie noch hofften, bald nach Hause zu dürfen? Die Menschen in die Arme zu schließen, die sie liebten? Kam der Tod für sie plötzlich oder haben sie geahnt und gemerkt, dass sie Kraft zu Ende geht?
Ich erzähle meinem Kind vom Krieg hier in Deutschland, in Europa. Dass deutsche Armeen andere Länder angegriffen haben. So wie jetzt Russland die Ukraine. Dass Menschen gedacht haben, sie wären besser und wichtiger als die anderen und hätten das Recht sich alles zu nehmen. Andere auszubeuten, zu quälen, arbeiten zu lassen, bis sie vor Erschöpfung sterben. Oder zu erschießen.
„Haben die vergessen, dass Gott die Welt für alle Menschen und Tiere gemacht hat?“ Ich blicke auf die Frühblüher zwischen den Gräbern, die dicken Knospen der Bäume, die überschäumende Kraft der Natur. Menschen aus Leutenberg und Lehesten und Saalfeld waren es, die da in den Krieg gezogen sind. Solche Menschen wie du und ich und unsere Nachbarn, erzähle ich weiter. Sie standen den Anderen direkt gegenüber.
Ich frage mich, was hätte sie umstimmen können? Was kann bewirken, dass jemand hinter das Feindbild schaut und den Menschen da gegenüber sieht? Weder Mitgefühl, noch die Fülle der Natur, ihre Schönheit, das Leben mit all seiner Kraft, konnten die Menschen damals umstimmen. Ihr Blick ging wie durch einen Tunnel, erstarrt.
„Das war schlimm. Und ganz schön gemein.“ Wir streichen noch etwas altes Laub von den Gräbern und gehen weiter. „Wie gut, Mama, dass wir jetzt wissen, dass man so etwas nicht macht.“
Eine friedliche und fröhliche Sommerzeit wünscht,
Ihre Pfarrerin Sarah Zeppin.